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Die Odyssee einer Kleinigkeit (Teil 2)

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Röntgenbild nach Armbruch mit Schrauben und Platte

Teil 1 meiner kleinen Odyssee war ja vergleichsweise unspannend. So unspannend, dass es sogar ein paar Rückfragen gab, wo denn jetzt die Botschaft des Textes läge, immerhin sei das Erlebte doch Alltag in deutschen Kliniken. Da ist wahrscheinlich was dran, denn mit je mehr Menschen ich über die Ereignisse spreche, desto mehr unglaubliche Geschichten kommen mir zu Ohren. Was mich dabei schreckt ist die Tatsache, dass kaum einer damit an die Öffentlichkeit geht, die Missstände publik macht. Ich selbst habe ja auch mehr als ein Jahr gebraucht, bis ich den Schritt gemacht habe. Um eines an dieser Stelle noch einmal klar zu stellen, ich will hier keine Personen an den Pranger stellen. Deshalb auch bis auf die Klinik keine Namen. Es ist für mich klar, dass die Ärzte und insbesondere das Pflegepersonal tagtäglich an ihre Belastungsgrenzen und darüber hinaus gehen. Dafür habe ich viel Verständnis. Ich habe aber kein Verständnis dafür, dass Systemschwächen, die klar zu Lasten von Patienten, Pflegepersonal UND Ärzten gehen, nicht verändert werden. Und zwar von oben nach unten. Denn Chefärzte, Klinikleitungen und Manager in Krankenkassen könnten etwas ändern, wenn sie wollten. Und wenn sie sich wieder auf das besinnen würden, was mal unter “Solidarprinzip” verstanden wurde. Aber das ist ein anderes Thema. Zurück zu meinem kleinen “Fall”.

10 Tage später

Zehn Tage nach dem Eingipsen des Armes finde ich mich wie vereinbart wieder in der Klinik ein. “Berufsgenossenschaftliche Sprechstunde” heißt das Zauberwort und bedeutet nichts anderes als die Nachuntersuchung bei Arbeitsunfällen. Nach einer vergleichsweise kurzen Wartezeit finde ich mich im Untersuchungszimmer wieder und treffe dort auf den Oberarzt, der mich bei meiner Erstversorgung in der Notaufnahme behandelt hat. Dieser schaut völlig irritiert auf meinen Gips, schüttelt den Kopf und fragt mich dann: “Sie sollten doch operiert werden. Wieso hat man das nicht getan?” Mir fällt es schwer, meine Gesichtszüge und meinen Blutdruck unter Kontrolle zu halten. “Ich hatte doch angeordnet, dass man Sie operieren soll”, legt der Herr in Weiß nach. Darauf hin bricht es aus mir heraus und ich erzähle ihm im Schnelldurchgang, was seit der Nacht in der Notaufnahme passiert bzw. nicht passiert ist. Er schüttelt wiederholt mit dem Kopf und sagt dann: “Aber in Ihrem Alter können wir den Bruch so nicht stehen lassen. Wenn Sie jetzt 70 wären, wäre das ok. Aber nicht mit 38. Sie sollten das operieren lassen.”

Ich verliere etwas die Fassung und sage ihm, dass ich doch langsam mehr als nur irritiert wäre, ob der der ganzen widersprüchlichen Aussagen und dass ich als Patient ja wohl kaum eine vernünftige Bewertung meines eigenen Armbruches vornehmen könne. Daraufhin erwidert er, dass er mich verstehe und dass er die “Kommunikationsprobleme” im Team bedauere. Wir einigen uns dann, dass ich mir so schnell wie möglich eine externe zweite Meinung hole. Er druckt mir die Röntgenbilder aus und mit seinen Worten “Jeder Kollege wird Ihnen bestätigen, dass ich Recht habe” im Ohr verlasse ich fluchtartig die Klinik. Draußen setze ich mich erstmal in die Herbstsonne und google schnell die Rufnummer meines Orthopäden und Chirurgen des Vertrauens. Dieser ist ein Schatz und lässt mich noch am selben Tag dazwischen. Ob der Geschichte schüttelt auch er den Kopf, doch nach dem Betrachten der Bilder bestätigt er das, was sein Kollege in der Klinik geraten hat. In meinem Alter solle man das operieren lassen, sonst würde ich unnötig an Bewegungsfreiheit im Handgelenk verlieren. Das Argument überzeugt mich und ich rufe nach dem Verlassen der Praxis in der Klinik an und lasse mir einen OP-Termin geben. Ob der aufgelaufenen Peinlichkeiten geht es diesmal ziemlich schnell. Zwei Tage später soll ich vorstellig und operiert werden. Drei bis vier Tage Klinikaufenthalt solle ich einplanen heißt es am Telefon.

Die OP

Zwei Tage später finde ich mich in der Klinik ein. Es ist dieselbe Station, die mich seinerzeit wegen des vollen OP-Planes nach Hause geschickt hat. Heute werde ich erwartet. Allerdings nur, um mir meine Krankenakte in die Hand zu drücken und mich zu einer anderen Station zur Aufnahme zu schicken. Ich mache mich auf den Weg durch die Klinik. Dabei fällt mir ein Post-It auf der Akte ins Auge, auf dem nur das Wort “tagesstationär” steht. Ich schaue auf meinen kleinen Ziehkoffer und frage mich, ob ich das mit den drei bis vier Tagen Aufenthalt nur geträumt habe. Nun denn. Auf der Zielstation angekommen, werde ich in ein Übergangszimmer ohne große Ausstattung einquartiert. Keine Nasszelle, kein Radio, kein TV. Scheint also ernst zu sein mit “tagesstationär”.

Nach drei Stunden Warterei in Netzslip und Engelhemd – soviel Kopfkino sei Euch und Ihnen zugemutet – werde ich dann zur OP abgeholt. Im Vorraum des OP wartet dann das Anästhesie-Team auf mich. Es gibt keine Vollnarkose sondern nur eine Anästhesie des Armes. Diese soll unter Ultraschall in die Achsel gesetzt werden, wo dann die zentralen Nervenbahnen lahmgelegt werden sollen. Leider ist an dem Tag der große Monitor des Ultraschallgerätes kaputt, was der Anästhesist unter dem Gegrinse einiger beiwohnender Medizinstudenten mit der Aussage kommentiert: “Dann versuchen wir es heute eben im Blindflug.” Ich bin kurzfristig versucht, das Weite zu suchen. Prompt landet er zweimal mit der Nadel auf dem Nerv, was mich – obwohl ich echt nicht schmerzempfindlich bin – beinahe durch die Decke gehen lässt. So stelle ich es mir jedenfalls vor, wenn man von der Polizei auf der Flucht mit Elektroschockern gestoppt wird.

Von der OP bekomme ich dank Schlafspritze zum Glück dann nichts mit. Als ich wieder aufwache höre ich durch den ersten Nebel den Satz: “Leider haben wir bei der OP bei einer Schraube den Kopf abgedreht. Sie wird leider drin bleiben müssen. Das passiert schonmal.” Ich bin noch arg beduselt, so dass ich nicht sicher bin, ob ich das nur geträumt habe. Auch weiß ich bis heute nicht, wer mich am Ende operiert hat.

Am Späten Mittag bin ich dann wieder in meinem Übergangszimmer und komme so langsam zu mir. Die Stationsschwester bringt mir etwas Wasser. Ansonsten warte ich. Gegen 18 Uhr kommt dann die Beste mit dem Junior zu Besuch. Die Betäubung im Arm lässt auch langsam nach und entsprechend nimmt der Schmerz zu. Ein Arzt hat sich bislang noch nicht blicken lassen. Irgendwann schaut dann die Schwester vorbei und fragt mich, ob der Arzt denn schon da gewesen sei. Ich verneine und sage, dass ich mich aber freuen würde, wenn das bald passierte. Doch es tut sich nichts. Irgendwann entscheide ich mich, mich auf einen Stuhl auf den Flur zu setzen und den nächsten vorbeikommenden Arzt abzufangen. Nach weiteren 30 Minuten gerät mir dann tatsächlich ein Stationsarzt in die Finger. Auf meine Frage, ob ich denn heute gehen könne oder noch bleiben müsse, fragt er mich: “Ja wollen Sie denn nach Hause?”. Ah, dieses Spiel also wieder. “Klar”, sage ich. “Sicher möchte ich nach Hause. Freiwillig bleibe ich nur ungern hier. Aber Sie müssen mir doch sagen, ob das in Ordnung ist. Ich habe keine Lust, heute Nacht wieder mit Schmerzen in der Notaufnahme zu hocken und dann erneut stundenlang warten zu müssen.” Daraufhin verschwindet er in seinem Stationszimmer, telefoniert und “organisiert” mir ein Zimmer. Währenddessen, kommt ein weiterer Arzt in mein Zimmer und teilt mir mit, dass ich jetzt gehen könne. Die Schwester, die bereits mit Bettentetris begonnen hat, um mir in einem Zimmer einen freien Platz zu besorgen, verdreht schon entnervt die Augen. Ich teile dem jungen Mann mit, dass sein Kollege gerade beschlossen hätte, ich solle doch bleiben. “Aber dazu gibt es doch gar keinen Grund”, ereifert er sich, bevor die Zimmertür aufgeht und der Stationsarzt hereinstürmt. Die beiden liefern sich in meinem Beisein ein unschönes Wortgefecht, in dem es darum geht, wer hier das Sagen und die größerer diagnostische kompetenz hat, an dessen Ende dann aber feststeht, dass ich wohl doch eine Nacht bleiben soll. Die Schwester fährt mit ihrem Bettentetris auf der Station fort und schafft mir tatsächlich eine Lücke, in die ich passe. Ich werde in einem Zimmer mit zwei älteren Herren einquartiert, verbringe eine ruhelose Nacht und bin froh, als morgens dann endlich Visite ist und die erlösenden Worte “Sie können dann heute gehen” fallen. Ergänzend fügt der Arzt noch hinzu, dass ich mir zur Nachbehandlung doch einen niedergelassenen Chirurgen suchen solle. Ich habe das Gefühl, er will mich auf keinen Fall wiedersehen. Ein Wunsch, der durchaus auf Gegenseitigkeit beruht.

Mit der Besten packe ich meine Sachen und wir begeben uns in die Cafeteria des Bergmannsheils. Dort warten wir darauf, dass auf der Station die Entlassungspapiere fertig gemacht werden. Nach gut zwei Stunden ist es dann soweit. Ich nehme einen Umschlag mit AU, Schmerzmittelrezept und Bericht in Empfang, verabschiede mich und bedanke mich bei der Schwester für ihr Engagement. Auf dem Rückweg halten wir an einer Apotheke und wollen das Rezept einlösen. Die Apothekerin schaut mich zerknirscht an und teilt mir dann mit, dass sie mir das Mittel nicht geben könne. Das Rezept sei nicht gestempelt und zudem fehle die Bearbeitungsnummer für die Berufsgenossenschaft. Ich seufze einmal tief und bin einmal mehr froh, nicht schmerzempfindlich zu sein. Vielleicht reicht ja die Pille, die sie mir auf der Station netterweise mit in den Umschlag getan haben, aus.

Die Nachbehandlung

Tags darauf stelle ich mich dann bei meinem niedergelassenen Chirurgen zur Nachbehandlung vor. Er fragt nach, ob ich denn keine Röntgenbilder mitbekommen hätte. Das sei doch so üblich, sagt er. Naiv, wie ich bin, war ich davon ausgegangen, dass soetwas heute online gemacht wird. Aber weit gefehlt. Also rufe ich wieder im Bergmannsheil an, wo man mir dann weismachen will, dass es keineswegs normal sei, Patienten ihre Röntgenbilder zur Nachbehandlung mitzugeben. Man wolle mir die Bilder nun schicken. Ich lehne das ab, um weiteren Pannen vorzubeugen und die Sache zu beschleunigen, und bestehe darauf, mir die Bilder noch am selben Tag vor Ort abzuholen. Zwei Stunden Wartezeit später halte ich dann tatsächlich eine CD-ROM mit allen Bildern in den Händen.

Tags darauf bestätigt mir dann mein Chirurg, dass ich den abgedrehten Schraubenkopf nicht nur geträumt habe. Auf den Bildern ist die kopflose Schraube gut zu erkennen. Ansonsten ist er handwerklich zufrieden. Wenige Tage später, ich bin gerade in der Buchhandlung meines Vertrauens unterwegs, klingelt mein Mobiltelefon. Am anderen Ende ist das Sekretariat des Chefarztes. Der netten Dame am anderen Ende ist es sichtlich unangenehm, aber sie hat da noch ein paar Fragen zu meiner Behandlung. Sie wisse, dass ich ja am 27. September in der Notaufnahme gewesen sei, aber sie wolle doch jetzt mal wissen, ob ich denn auch operiert worden sei. Mich haut es fast hintenrüber ins Bücherregal. Ich schaue schnell auf die Uhr, ob nicht doch schon der erste April ist. Ich verlasse den Buchladen und schildere der ausgesprochen freundlichen und bemühten Frau, was so in den letzten Wochen alles wann mit mir wie passiert ist. Sie wird immer stiller und meint am Ende nur ganz lieb: “Wenn ich das alles so höre, sie kommen aber so schnell nicht mehr zu uns, was?” Ich lache und erwidere, dass sie davon ausgehen könne. Zumindest nicht, solange ich noch bei Bewusstsein sei. Wir verabschieden uns freundlich und ich widme mich wieder meinem Bucheinkauf.

In den Wochen nach der OP gehe ich artig zur Physiotherapie. Die Bewegung kehrt in den Arm zurück und mein Therapeut ist ob meiner Fortschritte sehr zufrieden. Schmerzen hab ich nur noch selten, aber die Platten und Schrauben spüre ich unter Belastung definitiv als Fremdkörper. Nach sechs Wochen steht dann die Abschlussuntersuchung beim Chirurgen an. Ich werde noch einmal zum Röntgen geschickt. Wieder zurück im Behandlungszimmer, zieht dieser beim Anblick der Bilder die Luft scharf durch die Zähne ein und fragt mich, ob ich bei bestimmten Bewegungen noch Schmerzen im Handgelenk hätte. Ich bejahe das, auch wenn ich davon ausgegangen war, dass das nach so kurzer Zeit noch normal sei. Er tippt mit dem Kugelschreiber auf das Röntgenbild und zeigt mir eine Stelle direkt am Handgelenk. “Sehen Sie diese Schraube? Die ist zu tief eingedreht und steht in der Gelenkpfanne. Bei jeder Bewegung schabt sie am Gelenkkopf entlang. Das ist nicht gut, das kann sich entzünden. Die muss dringend raus.” Mit einem modernen Bildgeber und unter Zurateziehen eines weiteren Kollegen sichert er seine Diagnose ab. Es ist mittlerweile Ende November und unter uns dudelt bereits der Weihnachtsmarkt.

Wenige Tage später werde ich also erneut operiert, diesmal allerdings ambulant. Die Narbe wird wieder geöffnet, die besagte Schraube rausgedreht, zugenäht, fertig. Wieder vierzehn Tage Dienstausfall. Mitten in einer wichtigen Projektphase kommt das natürlich gut. Wenigstens verläuft diesmal alles ohne weitere Schwierigkeiten und die Heilung geht zügig voran.

Jetzt wird es dreist

Die Weihnachtstage gehen ins Land und ich mache artig meine Physio weiter. Alles scheint auf einem guten Weg. Bis ich eines Abends heimkomme und eine Rechnung vorfinde. Einer der Klinikärzte schickt mir eine Privatrechnung für erbrachte Leistungen zu. Dazu muss man wissen, dass ich eine Zusatzversicherung für Krankenhausaufenthalte habe, die die Unterbringung im Zweibettzimmer und Chefarztbehandlung zusichert. Dies hatte ich irgendwann in der Klinik angegeben. Da es sich jedoch um einen Arbeitsunfall handelte, kam sie nicht zum Zuge. Auch die Unterbringung in meiner einzigen Nacht in der Klinik erfolgte im Dreibettzimmer, sodass ich auch hier keine Leistung in Anspruch genommen habe. Ziemlich sauer rief ich bei der Abrechnungsfirma des Arztes an und reklamierte en Fall. Dort ruderte man sofort zurück und versprach, man wolle den Fall prüfen. Ich solle die Rechnung erstmal als “gegenstandslos” betrachten. Mit einer weiteren Rechnung, die mich kurze Zeit später erreichte, verfuhr ich ähnlich. Mit dem selben Ergebnis.

Dieses Vorgehen hat mich allerdings so sauer gemacht, dass ich mich entschloss, die Berufsgenossenschaft zu informieren. In einem ausführlichen Brief schilderte ich das, was mir passiert war. Ich bat darum, die Vorgänge zu prüfen und die Qualität der Prozesse in der Klinik zu verbessern. Ansprüche habe ich dabei bewusst keine formuliert, schließlich bin ich ja bei allem am Ende gut weggekommen und die Sache war ja auch kein großes Ding. Aber mir geht es ums Prinzip. Und darum, dass sich so etwas nicht unbedingt bei anderen wiederholen sollte. Das Schreiben an die Berufsgenossenschaft habe ich übrigens in Kopie auch dem Chefarzt am Bergmannsheil zukommen lassen. Im Gegensatz zur Berufsgenossenschaft, die sich bereits am Tag darauf bei mir gemeldet hat, kam von der Klinik selbst bis heute keinerlei Reaktion.

Ende gut, alles gut

Am vergangenen Freitag wurde nun das hoffentlich letzte Kapitel dieser Geschichte geschrieben. Die Platte mitsamt der meisten Schrauben bin ich jedenfalls seitdem los. Bei der ambulanten OP sind leider noch von zwei weiteren Schrauben die Köpfe abgebrochen, so dass ich nun mit drei kopflosen Schrauben im Arm mein weiteres Dasein fristen werde. Innere Werte, die nicht jeder hat. Aber immer noch besser, wenn die Schrauben kopflos sind, als dass ich sie locker hätte. Nun muss nur noch die Narbe sauber verheilen und dann kommt ein großer Haken dran.


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